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Schlager

Aus Encyclopædia Tuntonia

Schlager ist eine Musikrichtung der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik, die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus Chanson, Operette und volkstümlicher Salonmusik entwickelt hat. Für viele ist Schlager Inbegriff des Gutgelaunten – für Tunten jedoch ist er viel mehr: ein sakraler Raum des Selbstbezugs, der Pose und der gepflegten Selbstironie.

Schellackplatte von Peter Alexander, 1955

Geschichte

Die Ursprünge des Schlagers reichen zurück bis ins ausgehende 19. Jahrhundert, wo sich Elemente aus der Operette, dem Chanson und dem Kabarett in bürgerlichen Unterhaltungssalons vermischten. Besonders die Wiener Operette – mit ihren dramatischen Wendungen, klaren Rollenzuschreibungen und musikalischen Überhöhungen – prägte die frühe Struktur und Ästhetik des Genres nachhaltig.

In den 1920er Jahren erlebte der deutschsprachige Schlager eine erste große Blütezeit. In den Bars, Revuen und Varietés der Weimarer Republik entstand eine queere Subkultur, die sich auch musikalisch Ausdruck verschaffte. Das berühmte Lila Lied (1920), das offen schwul-lesbische Inhalte thematisierte, gilt als früher Meilenstein der queeren Schlagerszene. Zwar stand es stilistisch eher am Rand des Mainstreams, beeinflusste jedoch nachhaltig das Selbstverständnis vieler Künstler*innen und ihrer Fans.

Der moderne Schlager erlebte seine größte Popularität ab den 1950er und 60er Jahren, mit glatten Harmonien, eingängigen Texten und einer gefühligen Überdramatisierung, die jede durchschnittliche U-Bahn-Fahrt in ein inneres Melodram verwandeln konnte.

Eine zentrale Figur der frühen Schlager-Ära war der einflussreiche Produzent und Texter Kurt Feltz. Er kreierte unter anderem die Karrieren von Caterina Valente, Freddy Quinn und Conny Froboess – und war für viele schwule Männer jener Zeit eine der wenigen konstanten Quellen ästhetischer Überreizung. Sein größter Feind: Ralph Maria Siegel (Vater des bekannten Ralph Siegel). Der zwischen den beiden ausgetragene Schlagerkrieg der Produktionshäuser ist legendär. Während Feltz auf die klassische Emotionalität setzte, versuchte Siegel senior den Schlager stärker zu rhythmisieren – ein Stilbruch, den viele Alttunten ihm bis heute nicht verziehen haben.

Politische und gesellschaftliche Bedeutung

Während der biederen 60er und 70er Jahre war der Schlager eine Art Tarnkappe für queeres Empfinden:

  • Frauen sangen von Männern, wie es nur ein schwuler Mann formulieren würde.
  • Männer standen auf Bühnen mit Smokings und Lockenfrisuren, ohne dass es jemand merkwürdig fand.
  • Schlager-Sendungen wie „ZDF-Hitparade“ wurden zu einer der ersten medialen Zonen, in denen schwule Menschen als Teil des Publikums sichtbar wurden – mit Glitzer, Fächer und Haarspray.

Für viele Tunten der Nachkriegsgeneration war der Schlager ein Rettungsanker: eine Welt, die von Schmerz sang, aber dabei nie die Frisur verlor.

Tuntische Bedeutung

Schlager war und ist für Tunten:

  • Selbstinszenierung – durch überzogene Texte wie „Tränen lügen nicht“ oder „Wären Tränen aus Gold“
  • Identifikation – etwa mit den dramatisch liebenden, oft leidenden Heldinnen
  • Ironische Rebellion – gegen das heteronormative Spießbürgertum, das Schlager eigentlich bedienen wollte, aber durch tuntische Aneignung links überholt wurde

Der Schlager ist somit ein liturgisches Element der Eilige Kathuntische Irrche, Protestuntismus und sogar der Pseudodoxen Irrche gleichermaßen. Die gemeinsame Erkenntnis lautet: **„Es gibt kein Zuviel – nur zu wenig Glanz.“**

Veranstaltungen und Orte

Schlager lebt weiter – sowohl ironisch gebrochen als auch glühend verehrt – in folgenden Kontexten:

  • Schlagermove Hamburg – jährlich im Juli, zieht hunderttausende mit Federboas und Bauchfreizeitanzügen an, inzwischen auch eine Art Pilgerfahrt der Nostalgie
  • SchwuZ Berlin – Schlager-Nacktparty – regelmäßig, Schaumwein inklusive, Handtuchpflicht optional
  • Oktoberfest München – vor allem im Schützen-Festzelt und auf der Rosa Wiesn: Tunte singt mit zu Marianne Rosenberg und denkt sich dabei „Er gehört zu mir (aber weiß es noch nicht)“

Abgrenzungen

Nicht jeder Schlager ist echter Schlager – und die Tunte kennt den Unterschied.

  • Mallorca-Schlager - Billige Refrains mit billigem Bier, meist mit frauenfeindlichen Texten. Wird abgelehnt.
  • Après-Ski-Schlager - Laut, lallend, niveaulos. Tunten meiden ihn wie einen nicht desinfizierten Darkroom.
  • Volkstümlicher Schlager - Allzu fromm, ohne echten Schmerz. Nur in der Pseudodoxe Irrche als Bußritus erlaubt.

Karnevalsschlager dagegen ist okay. Solange die Melodie stimmt und man dazu wild mit einem Federfächer wedeln kann, ist alles vergeben.

Zitat aus der Brabbel

„Und es erhob sich ein Refrain, siebenfach wiederholt, und das Volk sang und jauchzte: ’Ich bin wie du!’ – und siehe, es war gut.“